Ten Years After

München, Backstage
10. Januar 2008



Wenn auf eine Band der Begriff „Kult-Kapelle“ zutrifft, dann unter anderem auch auf 10 Years After: Sie spielten zur selben Zeit im Hamburger Starclub wie die Beatles. Beim Woodstock-Festival 1968 waren sie eine der Hauptattraktionen – unvergessen, wie Gitarrist/Sänger Alvin Lee während ‘I’m Going Home’ fast zehn Minuten lang sein Instrument bearbeitete und so die dreiminütige Hit-Single auf nahezu eine Viertelstunde streckte. Und obwohl von Anfang an als reine „Blues-Rocker“ gehandelt, sind sie ihrer Zeit weit voraus gewesen. Alleine das Stakkato von ‘Good Morning Little Schoolgirl’ könnte als Mutter-Riff aller Industrial-Metaller der Neuzeit durchgehen (in der Tat mutmaßte einer meiner ehemaligen METAL-HAMMER-Kollegen, es würde sich um „etwas Neues von Rob Zombie“ handeln, als der Live-Mitschnitt jenes Evergreens durch mein Büro hallte).


Hervorgegangen ist die Truppe übrigens aus verschiedenen, seit Anfang 1960 durch die britischen Pubs tingelnden Kneipen-Combos wie Jayman, Mansfield, Atomities. Irgendwann kristallisierte sich die ultimative Besetzung heraus: Keyboarder/Organist Chick Churchill (der der Truppe vordem kurzzeitig als Roadie diente), Bassist Leo Lyons, Drummer Rick Lee. Und Sänger/Gitarrist Alvin Lee. Als Namen für das – neue - Quartett standen anfangs Blues Trip, Blues Yards und Life Without Mother zur Debatte. Bis Lyons in der Zeitung einen Artikel las, der sich mit dem Thema "Zehn Jahre nach dem Ende der Wehrpflicht im U.K.“ beschäftigte – „Zehn Jahre danach“, „Ten Years After“ …




1974 beschlossen die vier Musiker, getrennte Wege zu gehen (Lee veröffentlichte unter der Flagge von „10 Years Later“ zwei Alben). 1988 erfolgte die Reunion. 2003 zerstritten sich Alvin Lee und die anderen Drei, die daraufhin in Joe Gooch (Foto unten links) einen neuen Frontmann und Gitarristen rekrutierten. Und was für einen! Gleich von Beginn an und spätestens nach den ersten drei Stücken (‘Working On The Road’, ‘King Of The Blues’, ‘Hear Me Calling’) wird den etwa 600 Anwesenden im Backstage schnell klar, dass der Jungspund – er ist in etwa halb so alt wie seine Brötchengeber – hervorragend in die Riege der Rock-Legende passt.

Stimme? Wie ein junger Gott! Gitarrenbeherrschung? Improvisationsvermögen? Beides aus einem anderen Universum! Stücke wie ‘Time To Kill’, ‘Love Like A Man’ oder der Weckruf für die kleine Schülerin (‘Good Morning Little Schoolgirl’) avancieren dank Goochs einfühlsamer wie dynamischer Präsenz zu einer charmanten Zeitreise in die Gründerzeit des Blues-beeinflussten Hard Rock, ohne jedoch das Gefühl zu bekommen, dass man selbst sentimental längst vergangenen Zeiten nachtrauert. Im Gegenteil: Mit der durchaus moderner Attitüde, mit der der vor allem der Frontmann agiert, respektive der musikalischen Intensität des Dargebotenen avanciert die Vorstellung des Vierers irgendwie zu einer zeitlosen Zeitreise: Zwar entstand ein Improvisations-
Monster wie ‘I Can’t Keep From Crying Sometimes’ vor gut drei Dekaden – doch die Aussage ist unvergänglich, der Spaß, den Musikern dabei zuzuschauen und –hören, wie sie sich während der Improvisation den Spielball und die Motive mit ihren Instrumenten gegenseitig zuwerfen, ungebrochen.




Nach knapp zwei Stunden schließt die Zugabe ‘I’m Goin’ Home’ eine souveräne Performance ab, die eigentlich nur mit einem Wort zusammengefasst werden kann: Faszinierend!
Scottie – beam me up!