AVANTASIA


CH-Pratteln
Konzertfabrik Z7

30. November 2010


Passend zur am 18. März 2011 erscheinenden Avantasia-DVD THE FLYING OPERA – AROUND THE WORLD IN 20 DAYS hier der Konzertbericht von der Avantasia-Show Ende letzten Jahres im schweizerischen Pratteln – veröffentlicht in ROCK IT! #61 (Nachbestellungen über www.rock-it-magazine.de). Achtung! Während die DVD die denkwürdige erste Avantasia-Welttournee aus dem Jahr 2008 dokumentiert, findet ihr hier jetzt einen aktuellen Bericht von der noch relativ frischen, nur wenige Wochen zurückliegenden Tournee Ende letzten Jahres – und Bilder, die noch in keinem Rock- und/oder Metal-Magazin veröffentlicht wurden!
















Unverhofft kommt oft: Denn eigentlich sollte die 2008 erfolgte, gut zehnwöchige Gastspielreise eine einmalige Angelegenheit bleiben. „Doch damals“, so Protagonist Tobias Sammet im mit 1.400 Zuschauern fast ausverkauften Auditorium, „genossen wir das großartige Feeling – und fragten uns, ob wir das nicht noch irgendwann einmal wiederholen könnten …“ 

Dieses „irgendwann“ wird nun zum Glück relativ rasch Realität: Die Stimmwunder Amanda Somerville, Bob Catley (Magnum), Jorn Lande (Masterplan), Kai Hansen (Gamma Ray), Oliver Hartmann und – Ja, wirklich: Er ist es! - Ex-Helloween-Fronter Michael Kiske sagten ihre Teilnahme am Tross zu. Weiter mit von der Party und in Sammets Begleitband: Keyboarder Michael „Miro“ Rodenberg und Gitarist Sascha Paeth (Jeder, der jetzt fragt, wer die Beiden sind, liest das falsche Heft!) sowie Bassist Robert Hunacker und Edguy-Drummer Felix Bohnke.

Und gleich mit dem Opener 'Twisted Mind' wird schon mal deutlich: Wir haben es hier mit einem klaren, transparenten Sound zu tun, der zwar die Gitarren von Paeth und Hartmann gebührend in Szene setzt, aber nicht – wie sonst oft Gang und Gäbe – zum Beispiel die Gesänge unterdrückt. Zudem muss der Fan nicht lange auf das heiß ersehnte Rollenspiel warten: Jorn Lande gesellt sich bereits zum düsteren 'The Scarecrow', dem zweiten Stück, zu Sammet, untermalt seine Parts mit einer dämonisch Mimik, rockt im ureigenen Sinne „unheimlich“ drauflos.
Genau das zeichnet die Besetzung des Sänger-Ensembles aus: Während der Norweger für die Stücke mit eher Angst einflößendem, bedrohlichem Flair verantwortlich zeichnet – also 'The Scarecrow' und 'Promised Land' -, veredelt Bob Catley mit seiner erhaben-majestätischen Gestik theatralische Stücke à la 'The Story Ain't Over' oder 'In Quest For', während Gitarrist Oliver Hartmann irgendwo zwischen diesen beiden Extremen agiert.










Doch die erste Überraschung des Abends dürfen die Zuschauer bereits an sechster Stelle (von insgesamt 19 Songs) konstatieren: Ex-Helloween-Shouter Michael Kiske feiert nach 17 Jahren Bühnenabstinenz sein Stage-Comeback! Und was für eins! Seine Stimme ist immer noch so gut in Form wie anno dazumal: weich und geschmeidig und dennoch an den entscheidenden Stellen schneidend – und somit geradezu prädestiniert für die Metal-Stücke im Programm ('Reach Out For The Light', 'The Tower', 'Dying For An Angel').




Nur zwei Nummern später dann vielleicht die noch größere Überraschung (Kiskes Rückkehr deutete sich ja in den vergangenen Jahren allmählich an): Kai Hansen übernimmt 'Death Is Just A Feeling' – auf dem Album eigentlich gesungen von Jon Oliva. Denn nicht wenige Fans fragen sich beim Erscheinen der Gestalt in Frack und Zylinder: Trick or Treat? Stolziert da wirklich Kai Hansen über die Bretter, die die Welt bedeuten? Und nicht etwa ein Alice Cooper? Zu ähnlich der Habitus, zu ähnlich die Körpersprache – lediglich das charakteristische Gesicht des Hamburgers, das unter der Kopfbedeckung hervorlugt, verheißt Aufklärung. Kompliment an Hansen für eine derart souveräne Performance!

Aber auch Kompliment an Sammet: Während seine Sangesbarden immer nur für zwei, drei Songs im Fokus Flagge zeigen und dann ihre Auszeit genießen, tobt Tobi nahezu ununterbrochen die gesamten zweieinhalb Stunden wie ein Tornado über die Bühne, erweist sich als Spielmeister, der alle Strippen zieht und zu jeder Zeit fest im Griff hat. 

Zum Schluss der äußerst kurzweiligen Vorstellung löst sich die stilistische Zuordnung der Gastsänger immer mehr auf: Kiske singt nicht nur die Metal-Songs, Catley trällert nicht nur die Theatraliker, Lande rockt nicht mehr ausschließlich in höllischen Gefilden. Jeder darf jetzt nahezu immer und überall mit jedem – selbst Amanda Somerville (sie steuerte im Wesentlichen mit stoischer Ruhe links oben am Bühnenrand stehend die Backvocals bei) verlässt das ihr angestammte Plätzchen bei 'Stargazers' und 'Farewell'. Apropos 'Stargazer': Paeth brilliert hier mit einem atemberaubenden Solo, für das andere Band töten würden!

Wer nun befürchtet, dieses Konzert artet dann doch zu einer zu ernsthaften, vielleicht gezwungenen und spaßbefreiten Angelegenheit aus: Irrtum! Das Publikum hat bei 'Lost In Space' und 'Dying For An Angel' ordentlich etwas zum Mitsingen – dito in der Zugabe bei 'Avantasia'. Zum dezenten Headbanging eigen sich sämtliche Stücke darüber hinaus sowieso.

Beim Grande Finale sowie bei den Zugabe - 'The Wicked Symphony' beziehungsweise 'The Toy Master', 'Shelter From The Rain' und 'Avantasia' - herrscht schließlich auf und vor der Bühne ausgelassene Partystimmung total. Letztlich fragt sich ausnahmslos jeder Anwesende nach dem ultimativen 'Sign'/'Los Seven Angeles': Wer hat da an der Uhr gedreht? Denn nach gefühlten 45 Minuten, aber zweieinhalb Stunden Echtzeit heißt es: „Vorhang zu!“ für ein sehenswertes Spektakel der Superlative – ein Rock-Musical, das grandiose Unterhaltung wie erstklassigen und – wenn man so möchte – ernsthafte musikalischen Anspruch in hoher Qualität bietet!


Playlist AVANTASIA

Twisted Mind (Tobi)
The Scarecrow (Tobi/Jorn)
Promised Land (Tobi/Jorn)
Serpents In Paradise (Tobi/Jorn)
The Story Ain't Over (Bob/Tobi)
Reach Out For The Light (Michael/Tobi)
The Tower (Michael/Tobi)
Death Is Just A Feeling (Kai/Olli)
Lost In Space (Tobi)
In Quest For (Bob/Tobi)
Runaway Train (Bob/Jorn/Tobi)
Dying For An Angel (Michael/Tobi)
Stargazers (Jorn/Michael/Tobi/Amanda)

Farewell (Tobi/Amanda)
The Wicked Symphony (Olli/Jorn/Tobi)

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The Toy Master (Kai/Tobi)
Shelter From The Rain (Michael/Kai)
Avantasia (Michael/Tobi)
Sign/Los Seven Angeles